2000

Es ist mal wieder soweit, um zurück zu schauen, was so los war. Ich fange direkt im März an, da vorher nicht so viel im Kalender stand, was euch interessieren könnte. Das Ein oder Andere werde ich eh vergessen, aber damit kann ich gut leben. Fangen wir also mit etwas erfreulichem an. Im März haben Helmut und Ich (Rita) einen Tanzkursus belegt, in der Hoffnung noch etwas dazu zu lernen. Wir bemerkten schnell das sich zum Kursus vor einem Jahr nichts geändert hatte.

 

  • 1. meinte Helmut immer noch, ich ließe mich nicht führen,
  • 2. war ich der Meinung (wie damals auch) er kann nicht führen,
  • 3. kannten wir alle Schritte schon

und so blieb uns nur noch, es mit Humor zu tragen und so fielen wir oft unangenehm durch unser albernes Lachen auf und störten die Konzentration der anderen. Im April bekamen wir eine sehr nette Austauschschülerin aus Frankreich. Für Michaela war es spitze, die zwei verstanden sich zwar nicht mit Worten, dafür es um so mehr, wie man die Welt aus den Angeln heben kann. Eine Woche nach der Trennung der Beiden fuhr Michaela bereits nach Frankreich um zu schauen und zu erleben wie es da so läuft. Da Michaela sich telefonisch selten meldete wussten wir, dass es ihr gut geht. Später schilderte sie, dass Köln und der Dom durch nichts zu ersetzen sind, aber es doch ziemlich interessant sei, den Alltag in einer anderen Familie mitzuerleben. Zu unserer Verwunderung hat Michaela Austern gegessen, war aber nicht mach ihrem Geschmack, hätte mich sehr verwundert. Als Mutter kenn ich ihren einseitigen Geschmack. Auf ihrem Speiseplan, der ihr Leben beherrscht, stehen nur zwei Dinge drauf: 1. Nudeln und 2. Nutella. So war es auch typisch für sie, dass sich in ihrem Handgepäck mehrere Gläser Nutella befanden, falls es so was in Frankreich nicht gegeben hätte. Im Mai hatten wir dann einen Wasserschaden der sich gewaschen hatte. Abends um 22 Uhr kam die Nachbarin bei uns schellen, mit den Worten: „Der Keller steht unter Wasser, würden sie mal mit runter kommen?“ Da das Haus schon öfter von Wasserschäden befallen wurde, wurden vor den Kellern kleine Mäuerchen errichtet. Dadurch ist uns noch nie Wasser in unseren privaten Keller gelaufen, nur im Eingangsbereich. Doch was sich später Helmuts Augen bot war die Hölle pur. Waschmaschinen hingen nur noch mit dem Kabel in der Steckdose und rutschten uns entgegen, Winterklamotten schwammen uns entgegen. Als ich nach einem gemütlichen Abend mit Freundinnen vollgefressen nach Hause kam, begegnete Helmut mir schon im Flur, mit Gummistiefeln und den Worten: „Zieh dich bitte um, Gummistiefel stehen da in der Ecke, wir brauchen jede Hilfe.“ Von 23 bis 1:30 Uhr scheppte ich also noch Wasser, ich gebe zu, die erste Stunde viel es mir schwer, ich hatte das Essen noch quer im Magen hängen. Die gesamte Hausgemeinschaft und die Feuerwehr schafften es, von ca. 1m auf 30cm Wasserhöhe das Wasser aus dem Keller zu befördern. Tage waren wir beschäftigt die Keller zu leeren, unser Hab und Gut zu reinigen und zu trocknen. Im Garten wurden Zelte zum Trocknen aufgebaut. Unser Garten sah aus wie ein Flohmarkt. Jeder half jedem uns so kam man mal wieder ins Gespräch. Eine Woche später gönnte sich die Hausgemeinschaft noch ein Grillfest im Garten uns wir konnten schon wieder Witze machen. Im Juni waren wir ausschließlich damit beschäftigt, Eisenregale zu kaufen und ab sofort alles hochzustellen. Natürlich haben wir auch Anwälte und Versicherungen eingeschalten. Resultat: Die Anwälte haben sich gelohnt, war ein harter Kampf, aber wir sind zu unserem Recht gekommen. Im Juli waren wir mit beiden Töchtern in Holland, die Gelegenheit ergab sich so und da fackelten wir nicht lange. Die Gelegenheit, das war uns klar, kommt so schnell nicht wieder. Da wir schon lange nicht mehr alle vier gemeinsam im Urlaub waren, dachten wir als Eltern: „Ob das gut geht?“ Zu unserer Freude hatten wir eine tolle Unterkunft (Bungalow). Unsere Lachmuskeln massierte Helmut jeden Tag aufs neue, wenn er sich auf sein Fahrrad setzte. Das Rad kränkelte, es ging immer etwas kaputt. Die erste Zeit flitzte er noch zum Hausmeister der mit einer Schraube und einer Mutter und hier und da noch was helfen konnte. Später war es Helmut peinlich und fuhr immer ins nächste Dorf. Als er mal wieder mit uns eine Radtour mache, die leider auch noch fern von unserem Ort war, geschah es mal wieder: Ein Platten. Wir besorgten wie durch ein Wunder auf einem Sonntag einen neuen Schlauch. Mitten in der Fußgängerzone, mit bloßen Händen repartierte er sein Rad, die klugen Sprüche der Passanten: „Werkzeug muss man immer dabei haben“ oder „was schwitzt der Mann so?“ fragte ein kleiner Junge seinen Vater, welcher nur antwortete: „Wenn man so was nicht kann, geht es schwer.“ Ich bewundere Helmut heute noch dafür, 1. dass er das Fahrrad reparieren konnte und 2. dass er die Passanten nicht in seine Radkette eingeklemmt hat. Als wir eine Weile fuhren verzog sich das Hinterrad und fahren war nicht mehr möglich. Wir drei Frauen fuhren mit den Rädern vor, das Auto holen, um Helmut dann abzuholen. Leider ging Helmut einen anderen Weg zurück und als wir ihn dann fanden, hatte er schon 10 Km geschoben. Jetzt weiß ich aber, wie weit es kommen muss, bis Helmut das Radfahren leid ist. Ich erinnere mich noch, wie ihm an einem anderen Tag die gesamte Handbremse einfach so vom Lenker abfiel wie eine faule Kartoffel. Wir haben viele Dinge erlebt, aber dieses geheimnisvolle Rad, welches Helmut das Leben schwer machte, war mit nichts zu überbieten. Michaela und ich haben immer gesponnen, wir wollten einen Nachmittag eine Inlinerkurzreise machen, so ca. 25 Km fahren. Ihre Inliner sind dafür nicht geeignet und auf kurzen Strecken hatte sie schon immer blutige Füße. Da machte Helmut und Martina einen entscheidenden Fehler. Sie sagten beide: „Das ist zu weit, das schaffen die nie!!!“ Gesagt getan, der Rucksack wurde gepackt: Pflaster, Tempo, Salbe, Schere, Ersatzsocken, Getränke und ab. Ich muss nicht erwähnen, dass wir das geschafft haben, wer uns kennt weiß es. Gut, Opfer mussten sein. Michaelas Füße waren anschließend für nichts mehr zu gebrauchen, so viele Blasen habe ich noch nie gesehen. Wir mussten schon nach 7 Km verbinden, aber was soll’s?! Dieses Jahr bekommt sie richtige Schuhe und wir werden uns auf Langstrecken konzentrieren. Das Gefühl auf Inlinern zu stehen kann nur ein Fan verstehen. Zurück aus Holland machte Martina sich startklar, um mit ihrem Freund Dennis und einer Jugendgruppe nach Spanien zu fahren. 14 Tage waren sie fort. Heute ist sie etwas über 1 Jahr mit ihm zusammen. Als Eltern hätten wir uns keinen Besseren für sie wünschen können. Er hat gute Manieren, ist freundlich und hilfsbereit. Das ist erst mal das, was uns Eltern interessiert. Er arbeitet auch bei Bayer, wie Martina. Aus Martinas Sicht, glaube ich, zählt nur, dass sie sich lieben und das ist auch richtig so. Beide machen jetzt den Führerschein fürs Auto, aber ich will nicht vorgreifen. Wir drei, Helmut, Michaela und ich nutzen die Zeit, in der Martina in Spanien war und fuhren zu Bekannten nach Hamburg, wo wir uns gut aufgehoben fühlten. Wir machten Stadtrundfahrten und haben auch sonst viel gesehen. Zurück zu Hause holte uns bald der Alltag ein. Mein Vater wurde schwer krank. Kehlkopfkrebs. Die Zeit der Krankenhausbesuche begann und damit auch die Zeit der Sorgen.
Im August bekam Schwiegermutter ein neues Schlafzimmer, das ist sehr erwähnungsbedürftig, denn was wir in dieser Zeit gelacht haben, das gibt es nicht. Wie ältere Herrschaften nun mal sind, nämlich übereilt, so auch diese. Ihr altes Schlafzimmer verkauften sie viel zu früh, um Platz zu haben für die Renovierung. Die Renovierung wurde ein Abriss, der ganze Putz kam mit runter und viele Dinge gingen schief. Auf einer Klappliege die wir besorgten schlief der Schwiegervater, und Schwiegermutter auf dem harten Sofa. Meine Schwiegermutter rief fast täglich in dem Möbelhaus an, sie sollten doch jetzt liefern, das Schlafzimmer wäre tapeziert und ihr Kreuz täte bereits weh vom liegen auf der harten Couch. Wir hatten uns zur selben Zeit einen neuen Wohnzimmerschrank und einen neuen Tisch gekauft. Unsere Möbel kamen pünktlich. Der August war auch eine sehr gute Zeit, Helmut das inlinern noch mal nähre zu bringen., denn es wurde ein Kursus in dem Monat angeboten, welchen wir auch bei belegten. Obwohl es schon der zweite Kursus war und wir viel gelernt haben und Spaß hatten, bleibt es Helmut immer ein Rätsel, wie man sich auf den Dingern wohl fühlen kann. Ihm schmerzen die Füße schon nach 10 Minuten. Ich konnte ihn auch noch mal überreden von Leverkusen nach Mülheim auf Inlinern zu fahren, doch danach war das Thema für dieses Jahr für ihn beendet. Demonstrativ stellte er seine Schuhe in den Keller und meinte: „So die Saison ist für mich und meine Füße beendet.“ Im September besuchte ich meine Freundin Heike und flog nach Berlin fürs Wochenende. Eine Spreefahrt und eine Busfahrt um und durch die Stadt hielten uns in Atem, es war auch sehr warm. Im Oktober fuhr ich eine Woche auf Bildungsreise nach Tossens, in der Nähe von Norddeich, also an die See. Das Thema war „Typisch männlich, typisch weiblich.“ Heike hatte das Thema ausgesucht und mit ihr war ich auch da. Was dazugelernt habe ich nicht, dafür aber ein paar Kilos zugenommen und ein paar Ringe unter den Augen mitgenommen. Zurück aus dem Urlaub wurden der Koffer aus und umgepackt, denn am nächsten Tag ging es ab ins Krankenhaus. Meine Schulter sollte operiert werden. Der Kalk hatte sich ja breit gemacht und mir das Leben schwer gemacht. Die OP ist gut verlaufen. Eine Woche war ich im Krankenhaus und meine Lieben waren immer das, das war toll. Die Kinder erzählten mir, was alles schief gelaufen war ohne mich und Helmut erzählte abends immer, wenn er kam: „Mach dir keine Sorgen, ich habe alles im Griff.“ Nach einer Woche musste ich aber auch heraus, da es meinem Vater noch schlechter ging. Nach meinem Krankenhausaufenthalt besuchte ich ihn direkt in seinem Krankenhaus. Mittlerweile hatte er noch einen Blinddarmdurchbruch bekommen und es hatte sich herausgestellt, das er auch noch Lungenkrebs hat. Es ging immer hin und her, ins Krankenhaus, aus dem Krankenhaus, die Ärzte konnten ihm nicht helfen. Sein Wohnzimmer glich mittlerweile einer Krankenstation. Krankenbett, Sauerstoffgerät usw. Der Pflegedienst kam und ich saß jetzt fast täglich von 8-17 Uhr bei ihm. Er wurde immer dünner, aß und trank nicht, bekam kaum Luft. Ihm nicht helfen zu können, raubte mir viel Kraft. Es war für meine Stiefmutter und mich nicht leicht aber das Leid schmiedete uns auch enger zusammen. Ende Oktober bestand Martina ihre Zwischenprüfung als Kauffrau für Bürokommunikation mit einer drei. Die gesamte Familie war mächtig stolz auf sie. Michaela bestand ihr Theorieprüfung für den Roller und bei ihrer ersten Fahrstunde auf dem Roller flog sie bei einer Kurve, die sie nehmen wollte mit dem Roller ins Gebüsch. Sie hat es gut überstanden, nur ein kleiner Schock. Ende November hatte das Leid meines Vaters ein Ende. Ich war bei ihm bei seinem letzten Weg bis zuletzt. Er musste ½ Jahr kämpfen und es wurde zum Schluss immer schlimmer für ihn und uns alle. Drei Tage blieb ich anschließend noch bei meiner Stiefmutter, wegen den Ämtern und der Beerdigung. Dann fuhr ich wieder nach Hause. Nur einen Tag später nach meiner Ankunft bekam ich die Nachricht, dass Helmuts Oma gestorben war. Die Beerdigung ist übermorgen. Sie ist 92 Jahre alt geworden. Einerseits ein schönes Alter, andererseits schon traurig. Um den Brief jetzt nicht so traurig enden zu lassen, möchte ich noch schreiben, dass ich für dieses Jahr genau 3 Sunden gebraucht habe, mein Kreuz schmerzt, denn ich sitze hier in unserer kleinen Küche auf einem Stuhl. Und weil die Küche so klein ist, habe ich als Tisch nur einen Dienet, welcher mir als Tisch dient. die Bedingungen sind schlecht, ständig geht die Tür auf, Martina will was essen und um die Schublade zu öffnen fahre ich mit dem Wägelchen hin und her. Alle anderen Zimmer waren belegt. Ich dachte in der Küche hätte ich meine Ruhe. Die Ruhe hatte ich aber erst, als alle sich ihre Brote geschmiert hatten. Na ja, es ist mal wieder vollbracht. Meine Finger sind steif, so wie mein Rücken. Gott sei Dank schreibe ich solche Briefe nicht täglich.

 

Alles Gute und ein Frohes Fest